Berlin-Kreuzberg, Wrangelkiez. Hier sitzt Chris Rehbergers Agentur “Double Standards”. Kaum betritt man die erst kürzlich bezogenen Räumlichkeiten, scheint es so, als durchschreite man die Pforte zu einer anderen Welt. Man reibt sich kurz die Augen, denn der Kontrast zwischen Kiez vor der Tür und der Welt dahinter ist sich kaum größer vorzustellen. Hier die klassische Kreuzberger Mischung aus Graffitti, multikulturellem hektischem Treiben — dort eine Welt voller Struktur und Klarheit.
Das mehrfach preisgekrönte und doch umstrittene Studio Double Standards formt durch seine umfangreichen Plakatserien das Berliner Stadtbild ebenso, wie es das Graffiti vor der Tür tut. Sie lassen sich nur schwer auf einen Bereich reduzieren, zu vielfältig sind die hier entstehenden Arbeiten zwischen Editorial- und Printdesign sowie Objekt- und Motionarbeiten. Und das nahezu ausschließlich für Kunden aus dem Kulturbereich, wie das “Haus der Kulturen der Welt”, den “Hamburger Bahnhof” oder auch für seinen Bruder, den Künstler Tobias Rehberger. Nebenbei ist Chris Mitbetreiber des Technolabels “Perlon” und stolzer Familienvater.
Wo kommst du eigentlich her und warum bist du gerade hier gelandet?
Oh, das ist eine längere Geschichte. Ich komme aus Denkendorf bei Esslingen, in der Nähe von Stuttgart.
Ein Schwabe also.
Ja, ein Schwabe.
Nach Berlin zu gehen war sozusagen die „Wahl“. Wir haben zu Beginn meiner Karriere als freier Grafik Designer in Frankfurt gewohnt, aber durch eine Kampagne, die ich damals gemacht hatte, ging es mir ein bisschen zu hoch her in Deutschland. Meine Frau und ich sind dann zunächst einmal nach London abgehauen. Sie hat dort Fotografie studiert. Nach etwas über vier Jahren haben wir uns dann aber gesagt: Okay, jetzt geht’s wieder zurück nach Deutschland, jetzt reicht es mit England. Wir standen vor der Entscheidung: “Gehen wir wieder nach Frankfurt oder nach Berlin?”. Monika hatte es aber in Frankfurt nicht so wahnsinnig gut gefallen und mein Bruder und seine Familie hatten damals auch anklingen lassen, dass sie vielleicht nach Berlin ziehen würden. Wir haben uns dann recht flott für Berlin entschieden. Das war 2000.
Die zweite Welle.
Ja genau, die zweite Schwabenwelle.
Man hat immer das Gefühl du schläfst nie. Schaffst du überhaupt noch die Trennung zwischen beruflichem und privatem Leben? Ist das überhaupt noch möglich?
Ja klar kriegt man eine Trennung hin. Mit ein bisschen Disziplin klappt das schon. Als Gestalter kann man in bestimmten Situationen das Private vom Beruflichen doch nicht ganz eindeutig trennen, weil du immer guckst und immer denkst, … der Beruf lässt einen nie in Ruhe. Da kann man ja nicht sagen: So, Stempelkarte, jetzt geh ich heim und hör auf Schrauben zu drehen. Das geht nicht.
Zu sagen „Ich schlafe nie“, ist schwer übertrieben. Es ist zwar viel zu tun, aber ich verlasse zum Beispiel jeden Tag um Punkt sechs das Büro, weil ich einfach mit der Familie zu Abend essen will, komme dann allerdings ab und an sehr spät wieder hierher. Das ist zwar umständlich, aber so ist das manchmal.
Man sieht auch viele Arbeiten deines Bruders Tobias (Rehberger). Gibt es da einen gestalterischen Konsens zwischen euch beiden? Oder eine gemeinsame Haltung?
Den gibt es bestimmt. Letztens hatte ich wieder “Chew The Fat”, eine Dokumentation von Rirkrit Tiravanija über dessen befreundete Künstler angesehen, zu denen auch mein Bruder gehört. Beim Anschauen ist mir in einigen Szenen aufgefallen, dass wir über bestimmte Themen gleich denken, das wusste ich aber vorher nicht. Also gibt es in der Denkweise, wie man auf Ideen kommt, Probleme löst, ähnliche Strukturen, ohne dass wir uns jemals darüber ausgetauscht hätten. Ich mache ja auch hin und wieder einen Ausstellungskatalog für meinen Bruder. Da gibt es schon einige Berührungspunkte.
Ihr seid ja auch beide stark im Kulturbetrieb verwurzelt.
Mein Bruder ja, (lacht) ausschließlich, ja.
Das Erste, das mir sofort aufgefallen ist, als ich die erste Email von dir bekommen habe, war die Signatur: “You know what happens to those standing in the middle of the road.” Willst du dazu etwas sagen? Oder vielleicht auch gerade im Hinblick auf deine Arbeit mit Double Standards?
Natürlich, “…. They get run over”. Man muss sich entscheiden. Wir haben dieses Jahr viel gemacht und ähnlich viel Prügel dafür eingesteckt. Aber du kannst ja nicht anders gestalten oder dich anders entscheiden, wenn du zu der Überzeugung gelangt bist, das Richtige getan zu haben. Du weißt einfach irgendwann, wie du mit einem dir gestellten Problem umzugehen hast. Oft ist es ein Impuls, der einem sagt: “Ja, das ist jetzt richtig für mich.” Und dann musst du natürlich ein Gegenüber finden, der das Gleiche oder etwas ganz anderes dabei spürt, aber deine Ansicht, auch wenn es sich um ein Missverständnis handelt, teilt und dieses auch umdeuten kann. Ja, ich denke, man kann nicht falsch argumentieren, wenn man es ehrlich meint. Ich würde mich dafür schämen, jemandem etwas aufschwatzen zu wollen. Selbstverständlich geht es auch ums Geld, natürlich muss man den Laden am Laufen halten, aber das heißt trotzdem nicht, dass du dich verleugnen musst. Ich kann mich nicht verstellen.
Also vertretet ihr eine ganz klare Haltung?
Ja, ich könnte das jetzt nicht präzise ausdrücken, aber „Standing in the middle of the road…“ ist wohl was dem am nächsten kommt. Ich muss mich für das eine oder für das andere entscheiden. So werden Konzepte klarer, strukturierter. Eine einzige klare Aussage. Und wenn die das Gefühl meines Auftraggebers trifft, dann ist das wunderbar und wenn nicht, dann habe ich lieber ganz weit vorbeigeschossen, als nur knapp an der Lösung entlang zu schrabben.
Bei der Plakatserie zur Berlinale und dem Haus der Kulturen der Welt ist dir ein starker Gegenwind entgegen geweht. Würdest du im Nachhinein sagen, es ist gut, dass es so passiert ist, um deine eigene Position genau zu definieren?
Ob jemand von Außen nachher sagt „Das ist die totale Scheiße, was die da machen“, das interessiert mich eigentlich gar nicht so sehr.
Das ist vielleicht sogar gut.
Ja, lieber eine Position beziehen und sagen: “So, wir machen ein Negativposter für die Berlinale, das nicht so poppig bunt daher kommt wie im Jahr zuvor, sondern sich mehr auf das Material “Film” bezieht.” Der Gedanke zum Photogramm lag doch sehr nahe. Und wenn das dann später jemand kacke findet, nicht versteht oder zu nah am Thema sieht, ist das seine eigene Meinung. Ich halte nichts davon zu sagen: Das ist richtig und das ist falsch. Das gibt es ja grundsätzlich gar nicht. Als persönliche Definition für mich selbst schon. Ich kann das für mich entscheiden und wenn ich das richtig finde, werde ich es auch weiterhin richtig finden. Auch wenn Erik Spiekermann total ausgerastet ist bei der Posterserie zum Haus der Kulturen der Welt. Ich habe mich mit Erik darüber unterhalten und danach war alles gar nicht mehr so schlimm. Dann hat er nur gesagt „Ja, ich fahr da gerne mal aus der Haut und bin ein bisschen direkter“. Da kann man nur entgegnen „Ist ja gut, und nun?“. Wir sind dann per Email noch mal in den „Infight“ gegangen und haben uns darüber ausgetauscht. Ich kenne ja seine Haltung zur Helvetica. Was er allerdings negativ deutet, war für uns das Positive. Sein gern herangezogenes Beispiel Helvetica wäre wie Mc Donalds – wo immer ich hingehe schmeckt der Burger gleich. Ja, genau das ist es. Das war mit ein Hauptgrund, warum wir die Helvetica für das HKW gewählt haben und nicht, wie er vorschlug, die Arial. Zumal die Arial von der Formsprache so rein gar nichts mit der Helvetica zu tun hat, das kommt strafverschärfend hinzu.
Was ich interessant finde ist, dass viele von dir nicht wissen, dass du ja auch Mitbetreiber des Technolabels Perlon bist. Hat der Background noch Auswirkungen auf dein Schaffen, oder überhaupt die ganze elektronische Musikkultur? Zieht sich das als roter Faden durch?
Ja, natürlich beeinflusst der Hintergrund, den du ansprichst. Das ist ein immer präsentes Rauschen. Klar strukturiertes mit bestimmten Brüchen in der Gestaltung, das ist auch elektronische Musik. Repeaten, Sampling. Neu zusammenstellen, das Anerkennen bestimmter Wurzeln, diese mitzunehmen, umzudeuten, einen neuen Kontext zu suchen ist wichtig in der Gestaltung, wie auch in der Musik. Ich glaube, dass Umkontextualisieren ein wichtiger Teil in unserer gesamten Gestaltungs- und Musikkultur ist.
So, nun die Frage aller Fragen: Lebst du deinen Traum?
Ja, ein einfaches Ja.
Bleibt man dennoch hungrig?
Man bleibt hungrig, ja natürlich! Vielleicht ist das auch der Traum – hungrig zu bleiben. Nicht auf das schauen, was erreicht ist, sondern das “Immer-erreichen-wollen”. Das ist für mein Dafürhalten das Wichtigste das wir als Gestalter im Hinblick auf unsere Auftraggeber immer liefern müssen. Und sich selbst treu bleiben. Auch wenn man mal Haue kriegt, kann man gut damit umgehen, wenn man es ehrlich meint. Ich musste mich in den letzten Jahren nie verstellen. Das ist der Traum.
Sollte das Gespräch mit Chris Rehberger Interesse geweckt haben, dann schaut Euch ein paar seiner aktuellen Arbeiten bei Double Standards an. Wir freuen uns schon auf die nächsten Projekte aus seinem Haus.
Gespräch: Nils Hartmann
Fotos: Ailine Liefeld